Donnerstag, 2. September 2010

EU-Fördermittellobbying: Wie sich Wissenschaftler das Geld in Brüssel holen

"Ich selbst arbeite in nem Verband hier [in Brüssel, d.A.] und was denken Sie wie das hier abgeht? WIR schreiben die Arbeitsprogramme (Themen), die in Projektaufrufen z.B. im 7. Forschungsrahmenprogramm veröffentlicht werden.

Unsere Texte werden kaum überarbeitet und gelten dann als normale Ausschreibungen, d.h. während andere Mitkonkurrenten sich abmühen müssen um die Auschreibung mit der hausinternen Zielsetzung abzustimmen und passende Projektpartner zu finden, haben wir schon alles (inklusive Partner) unter Dach und Fach und können quasi loslegen.... und das passiert in ALLEN Bereichen!"
...schreibt "temporärer_brüsseler" in einem Leserbeitrag zum neuen Spiegel-Bericht "Lobbyismus in Berlin: Die Hauptstadt-Flüsterer".

In der Tat, die strategische Lobbyarbeit um EU-Subventionen für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung besteht für Profis heute vorrangig nicht darin, die eigenen Projekte im passenden Programm unterzubringen und die Anträge bei Ausschreibungen richtig zu schreiben. Sondern den Inhalt der Ausschreibungen frühzeitig mitzugestalten, die Förderlinien und Themen, unter denen sich möglichst viel unterbringen lässt, was man bereits in der Schublade hat.

Forschungseinrichtungen und Industrie arbeiten dabei oft im Tandem, spielen sich Informationen zu, um die Wissenschafts- und FuE-Mittel abzuschöpfen. Und die sind gewaltig: Das 2007-13 laufende 7. Forschungsrahmenprogramm (FP7) umfasst 50,5 Mrd. Euro. Und FP8 könnte gar noch größere Subventionstöpfe bereitstellen.

Den Löwenanteil bekommt Forschung, die der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dienen soll ("Lissabon-Strategie") und auch für die Industrie hochinteressant ist: Gesundheit 6,1 Mrd., Biotech und Agrar 1,9 Mrd., IT 9 Mrd., Nanotech, Werkstoffe und Produktionstechnologien 3,5 Mrd., Energie 2,3 Mrd, Verkehr, Luft- und Raumfahrt 5,6 Mrd. Euro.

Wissenschaft und Wirtschaft, Tür an Tür: Lobbystrategie in der Kaffeeküche

Manchmal ist der Abstand zwischen Wissenschafts- und Wirtschaftslobby gar nicht groß. Knapp zwei Schritte sind es, von Tür zu Tür, auf einem Bürokorridor in der Brüsseler Rue du Commerce 31, zwischen Max-Planck-Gesellschaft und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Auch Fraunhofer-Gesellschaft und Leibniz-Gemeinschaft sowie zwei andere Forschungsgesellschaften sitzen unter diesem Dach – zusammen mit zwei Dutzend Wirtschaftsverbänden im Haus der „German Business Representation“. Nicht nur in der gemeinsamen Kaffeeküche kommen sich Wissenschafts- und Wirtschaftslobbyisten näher – auch bei Technologie-, Forschungs- und Bildungspolitik kiebitzt man bei den Kollegen.

Nur ein paar Straßen weiter, gleich neben der Ständigen Vertretung Deutschlands, sitzt ein immerhin 8-köpfiges Team der Helmholtz-Gemeinschaft. Wie man dem Flyer des Brüsseler Büros entnehmen kann, versteht sich dieses sowohl als Anwalt der gesamten Forschungsinteressen wie auch als „Wegweiser im Brüsseler Umfeld zur Entwicklung von Forschungs- und Geschäftsaktivitäten der Helmholtz-Gemeinschaft im europäischen Umfeld“.

Einerseits liefern die Referenten Service, etwa durch eine Übersetzung des Leitfadens zur Antragstellung in FP7-Maßnahmen oder durch Kontakte zu den richtigen Ansprechpartnern, durch Beratung bei Anträgen oder Vertragsverhandlungen. Andererseits kommt es darauf an, bereits in den Definitionsphasen der Förderprogramme präsent zu sein, damit Helmholtz-Projekte überhaupt eine Chance bei den Ausschreibungen haben.

Zudem wird bereits am nächsten Forschungsrahmenprogramm 2014-2020 gearbeitet: Mit Stellungnahmen, Positionspapieren, Gesprächen wird auf die Ausgestaltung Einfluss genommen. Die Vorschläge sind keine reine Eigenarbeit des Brüsseler Büros, sondern werden mit den Helmholtz-Zentren in Deutschland eng abgestimmt. Umgekehrt arbeiten die Brüsseler deutschen Projekten zu oder reisen selbst zu Informationsveranstaltungen bei ihren deutschen "Kunden" an.

Nicht alles, was Helmholtz & Co. in Brüssel tun, ist klassisches Lobbying. Aber Fördermittelberatung für die Klienten im Verbund und Beeinflussung der Förderpolitik sind zwei Seiten derselben Medaille. Wenn das Helmholtz-Büro etwa verspricht, man könne als „Troubleshooter“ für Antragsteller „kritische administrative Probleme durch informellen, direkten Zugang zur Europäischen Kommission lösen“, dann gehen Lobbyarbeit und interner Service schnell ineinander über – typisch für das, was Fördermittel-Lobbying genannt werden kann.

Jedoch ist die Kommunikation mit der Politik auch darauf gerichtet, ein allgemein wissenschaftsfreundliches Klima zu erzeugen, nicht zuletzt im Europäischen Parlament, das zwar keine Förderprogramme administriert, wohl aber Weichen für Förderschwerpunkte stellt und Haushaltsmittel bewilligt.

Von der Klimaforschung bis zur Krebsforschung liefert das Büro Politikern Informationen, beeinflusst das Agenda-Setting. Originelle Ideen wie die, die Schülerlabore der Helmholtz-Gemeinschaft im Europäischen Parlament aufzubauen und die Abgeordneten selbst mit experimentieren zu lassen, gehören auch dazu. Der Deutschlandfunk zitiert die Amerikanerin Susan Kentner, die das Brüssel-Büro leitet:
"Wir versuchen einfach hier im Parlament zu zeigen: Das ist ein Weg, um junge Leute für naturwissenschaftliche Themen zu interessieren. Wir machen das absichtlich im Parlament, damit die Parlamentarier diese Versuche mitmachen können. Um auch ganz banale Fragen beantworten zu können, wie: Warum trennen sich Essig und Öl, wenn man sie mischt? Oder: Kann man aus einem Pfirsich DNA machen? Was ist Schwerelosigkeit eigentlich?"
Auch die Deutsche Forschungs-Gemeinschaft (DFG) ist seit 1990 vertreten, durch ihre Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen“ (KoWi), eine gemeinsame Serviceplattform vor allem für Hochschulen. Als das Internet noch nicht den Direktzugang zu EU-Förderinformationen erlaubte, beschaffte KoWi schwer zugängliche Dokumente. Inzwischen versteht sich KoWi breiter als „strategisch ausgerichtete Agentur“, die „proaktiv-strategisch“ analysiert und „zur langfristigen Sicherung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ berät.

Praktisch heißt das, wie man der DLF-Sendung entnehmen kann,
„Brüssel durchsichtig zu machen, lesbar zu machen, zu helfen, möglichst wenig Papierberge durchwühlen zu müssen, um ganz gezielt den Wissenschaftlern zu sagen: Hier ist eine wichtige Ausschreibung für euch, das könnte inhaltlich in eure Arbeit hineinpassen. Also da das Leben leichter zu machen.“
Aber auch klassische Lobby-Arbeit gehört dazu, wie KoWi/DFG-Büroleiterin Annette Doll-Sellen über die Anstrengungen beim FP7 sagt (bei dem im Vergleich zu FP6 eine "phantastische Erhöhung für den Forschungsetat" herauskam):
„Das ist ein unendliches Konsultieren, miteinander Diskutieren... Dann war es in der Kommission, dann im Parlament, dann in den Mitgliedsstaaten. .... Klar war das eine intensive Phase der Vermittlung von Interessen an die eine oder andere Seite.“
Aus der Region nach Brüssel: Lobbying alias "Projektmanagement"

Verlassen sich die deutschen Unis auf KoWi/DFG? Nicht alle. Die beiden Landesrektorenkonferenzen Bayerns haben etwa mit Landesfinanzierung die Bayerische Forschungsallianz GmbH (BayFor) als Anlaufstelle für europäische Forschungsinteressen gegründet.
Die Aufgabe, so der BayFor-Newsletter, liege darin, „Lobbyarbeit auf allen Ebenen der EU-Kommission für die bayerischen Hochschulen zu leisten und Forschungsinteressen Bayerns aktiv einzubringen. Zudem sollen die Hochschulen bei der Forschungsmittelakquisition auf EU-Ebene unterstützt werden“, lautet der Auftrag für die zehn Mitarbeiter; das Brüsseler Verbindungsbüro ist für die „strategisch-politische Lobbyarbeit“ zuständig.
In Nordrhein-Westfalen finanziert die Regierung die InnovationsAllianz NRW mit; Mitgliedshochschulen „profitieren in mehreren Themenbereichen von der Arbeit der InnovationsAllianz und ihres Vorstands, zum Beispiel bei der Entwicklung von Transferstrategien, bei der Lobbyarbeit gegenüber politischen Institutionen sowie in der Öffent-lichkeitsarbeit“, heißt es auf der Website.

Beispielsweise hat sich da alsbald ein "Arbeitskreis EU-Lobbying“ konstituiert. Im noblen Düsseldorfer Industrie-Club trifft man sich etwa zu Seminaren wie "NRW-FIT in Europa: Projektmanagement im 7. FRP". Es referieren nicht nur Uni-Wissenschaftsmanager, sondern auch z.B. ein Experte von der Bayer Technology Services über "Strategisches Management und Vertragsverhandlung". Seminarveranstalter ZENIT lässt sich auf seiner Website für sein Engagement für "deutschlandweite Lobby- und Koordinationsaktivitäten auf den Gebieten Innovationsförderung und Technologietransfer" loben.

Exklusive Spitzenverbände: Nicht jeder ist willkommen

Damit nicht genug, organisieren sich parallel deutsche Spitzenhochschulen international in Vereinigungen mit gewissem Statusanspruch. Die European University Association (EUA) hat unter ihren rund 850 Mitgliedern rund 60 deutsche Universitäten, aber nur 12 deutsche Fachhochschulen – erst seit 2008 ist die EUA für forschungsstarke, europäisch aktive Einrichtungen ohne Promotionsrecht geöffnet.

Die European Association of Institutions in Higher Education (EURASHE) mit über 800 Mitgliedern hat von deutschen staatlichen Hochschulen dagegen kaum Zuspruch erfahren. Eigentlich müsste dieser Zusammenschluss berufsorientierter Bildungseinrichtungen des tertiären Sektors eine starke Anziehungskraft auf deutsche Fachhochschulen haben, um Einfluss in Brüssel zu gewinnen. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Zwar ist die Mitgliedergruppe Fachhochschulen der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vertreten, aber nur eine staatliche FH ist Vollmitglied, der Rest sind private Akademien, Colleges, Institute, Schulen. In der EURASHE sind zahlreiche Einrichtungen vertreten, die sich „university“ nennen. Doch für die Deutschen sind diese scheinbar nicht ebenbürtig.

„Deutsche Fachhochschulen sind – wie z.B. die finnischen, österreichischen, niederländischen und schweizerischen – aus nachvollziehbaren historischen Gründen nicht Mitglieder von EURASHE“, erläutert der ehemalige Abteilungsleiter für Fachhochschulen im Bundesbildungsministerium, Hans Friedrich. Aufgrund der starken Unterschiedlichkeit der Mitglieder sei „die bisherige Haltung der deutschen Fachhochschulen richtig, in EURASHE nicht vertreten zu sein.“ Er empfiehlt stattdessen die Mitgliedschaft in der EUA.

So verstärkt sich das Bild, dass auf EU-Ebene Fachhochschulen – und auch kleinere und mittlere Universitäten – aus Deutschland nur mittelbar und mit geringer Interessenvertretung präsent sind. Erklärbar ist das durch geringere Ressourcen und fehlenden Internationalisierungsgrad.

Ambitionierte Universitäten treten dagegen eher europäischen Verbänden bei, der EUA oder anderen, noch exklusiveren Allianzen: Drei deutsche Universitäten sind in der League of European Research Universities (LERU) Mitglied, zwei im Unica-Netzwerk der Hauptstadtuniversitäten, sieben technisch orientierte Universitäten in der Vereinigung Top Industrial Managers for Europe (TIME), zwei in der Santander-Gruppe, eine in der Utrecht-Gruppe, vier in der Coimbra-Gruppe.

Letztere gilt als besonders elitär (Mitgliedschaft nur auf Einladung) und traditionsbewusst. Zweck der Gruppe sei es, europäische Bildungspolitik zu beeinflussen, mit den EU-Institutionen zum Vorteil der Mitglieder zu arbeiten, dort Expertenstatus zu erhalten und treibende Kraft in der Entwicklung des Europäischen Hochschulraums zu sein. Auch LERU-Vorsitzender Bernd Huber, Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität, betont, zentrales Anliegen sei die Intensivierung der Kontakte in der EU und das Lobbying der Kommission.

Einige dieser EU-Netzwerke übernehmen strategisch wichtige Aufgaben für die Europäische Kommission. Sie können etwa internationale Förderprogramme selbst verwalten. Voraussetzung sind eine gewisse Größe und ein klares Profil. Solche Vorteile beim Zugang zu Geld und Entscheidungsträgern erklären, warum sich gerade die Spitzenuniversitäten in exklusiven Bündnissen ihre Partner sehr genau aussuchen. Man will ja das schöne Geld nicht mit Krethi und Plethi teilen müssen...

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